Alt werden. Wie ist das? 1974 bewarb sie sich bei der „Presse“, ohne zuvor eine einzige Zeile geschrieben zu haben. Dann wurde sie zum Politik-Junkie. Warum sie – bereits lange im Pensionsalter – ihren Mund noch immer nicht hält.
Der österreichische Journalist Gerd Bacher sagte einmal, um im Journalismus erfolgreich zu sein, brauche es vor allem eine Kompetenz: frech sein. Und das war ich. Ganz unverfroren organisierte ich mir im Jahr 1974 einen Termin beim Chefredakteur von „Die Presse“. Das war damals eine der wenigen Qua- litätszeitungen in Österreich. Der dachte bestimmt, ich sei nicht ganz dicht, als ich mich bewarb: Ich hatte bis dahin nämlich nicht eine einzige Zeile geschrieben.
Der Journalismus stellte sich im Laufe der Zeit als ganz anders heraus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Mein Antrieb waren immer meine Neugier gewesen und vor allem der Drang zu schreiben. Aber mein größtes Asset war meine Affinität für Politik. Das Schreiben an sich war gar nicht meine Stärke, aber dafür wurde ich zum Politik-Junkie. Das Gespür und die Faszination für dieses Thema waren am Ende so viel wichtiger als stilistisches Können.
Ich habe eine gewisse Sensibilität für Politik. Als zum Beispiel Sebastian Kurz Bundeskanzler wurde, hatte ich schon früh das sichere Gefühl, dass sich diese Wahl nicht als erfolgreich herausstellen würde. So ging es mir im Laufe der Jahrzehnte mehrmals. Woher das kommt, kann ich nicht sagen, denn ich wuchs in einem sehr unpolitischen Haushalt auf.
Ich bin bis heute so richtig süchtig nach Politik. Seit dem Internet ist das aber wahnsinnig zeitaufwendig geworden. Ich schaue jede einzelne Politiksendung im Fernsehen, höre jedes Radiojournal und habe den ständigen Blick aufs Handy – sehr zum Ärger meiner Mitmenschen.
Am liebsten mag ich Tage mit Überraschungen. Wenn zum Beispiel ein Politiker unerwartet zu- rücktritt, dann spüre ich so richtig das Adrenalin in mir rauschen. Zugleich kommt bei so was aber niemand zu Schaden. Das Attentat auf Kennedy war zwar journalistisch sehr interessant, aber ich bin froh, dass ich damals noch nicht als Journalistin arbeitete.
Mir wird oft vorgehalten, die Situation in den 70er Jahren müsse für Frauen im Journalismus sehr schwierig gewesen sein. Das empfand ich nicht so. Damals wie heute ist es für junge Journalistinnen nicht ungeschickt, sich ein bisschen „girly“ zu geben. Die Medienlandschaft ist sehr männerdominiert und Männer spielen gerne den Erklärer und Helfer. Die Herausforderung liegt nur darin, zu erkennen, ab welchem Zeitpunkt man diesen Vorteil in wahre Kompetenz umwandeln muss.
Ich leitete das Innenpolitik-Ressort, als ich allein- erziehende Mutter wurde. Mein Chef damals war sehr konservativ, aber er räumte mir unheimlich viele Freiräume ein. Ich durfte zum Beispiel an vier von fünf Tagen von zu Hause aus arbeiten. Ich be- obachte, dass viele Frauen in der Branche heute entweder ganz auf die Karriere verzichten, um eine Familie zu gründen, oder in die Teilzeitfalle tappen: Das Modell gesteht ihnen zwar gewisse Freiheiten zu, während die Kinder die ärgste Betreuung nötig haben – danach ist es aber umso schwieriger für die Frauen, wieder eine Vollzeitstelle zu bekommen. Das hat Einflüsse auf die Gage und Altersvorsorge, von der Qualität ihrer journalistischen Arbeit ganz zu schweigen: Wie soll denn auch ein gutes Produkt entstehen, wenn jemand nur drei Tage die Woche arbeiten kann?
Journalismus ist mehr als ein Beruf, es braucht auch eine Leidenschaft dafür. Es gibt doch wirklich nichts Aufregenderes, als zu beobachten, was um ei- nen herum passiert! Aber das Durchhalten in jungen Jahren zahlt sich nicht aus, wenn man keine Leiden- schaft dafür hat. Und ganz wichtig: Der Preis für den Journalismus kann nicht sein, dass jemand ganz auf eine Familie verzichtet.
Von alleine hätte ich nicht aufgehört, in der Redak- tion zu arbeiten. Ich schreibe noch immer regelmä- ßig Kolumnen für „meine Zeitung“ – so nenne ich „Die Presse“ inzwischen – und auf Anfrage auch an- dere Texte. Vor allem seit dem Aufstieg von Sebasti- an Kurz, den ich sehr kritisch kommentierte, wurde mir von verschiedenen Seiten immer wieder nahe- gelegt, endlich mal den Mund zu halten. Aber ganz ehrlich: Was in Österreich gerade passiert, ist zwar nicht gut, aber journalistisch ist es hochspannend!
Tipp: Dieser Beitrag ist in der Jahresschuss-Ausgabe von
„Österreichs Journalistin“ erschienen. Es geht dabei ums „alt“ werden im Journalismus. Wie geht es denen, die keine Leitartikel mehr schreiben? Oder an den nachfolgenden Generationen verzweifeln? Neben Anneliese Rohrer beschreibt Ex-„Bunte“- Chefredakteurin Patricia Riekel, wie sie mit ihrem neuen Lebensabschnitt umgeht. Ebenso Roger Schwinski und der Schweizer Journalist Uwe Zimmer.
Mehr hier.Protokolliert von Noemi Harnickell