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News / Die „Vorarlberger Nachrichten“ in Erklärungsnot
Gerold Riedmann
11.05.2022   Vermischtes
Die „Vorarlberger Nachrichten“ in Erklärungsnot
Was wussten die „VN“ von den Machenschaften des Wirtschaftsbundes? Profitierten sie davon? Wie Chefredakteur Gerold Riedmann argumentiert.
Bregenz –  Verdacht auf Steuer- und Abgabenhinterziehung, möglicherweise auch Betrug und Untreue – die Vorarlberger  VP wird rund um die Anzeigenaffäre ihres Wirtschaftsbunds von einem beispiellosen Skandal erschüttert. Im Fokus stehen aber auch die „Vorarlberger Nachrichten“. Was wussten die Verantwortlichen des Flaggschiffs von Russmedia, dem mit Abstand einflussreichsten Medienhaus des Landes?, fragt Köksal Baltaci in der aktuellem Ausgabe von „Österreichs Journalist:in“.
 
Der Hauptgrund, dass auch Russmedia in Erklärungsnot geriet und sich die Frage gefallen lassen muss, wie seinen Medien diese Praxis der Inseratenvergabe verborgen bleiben konnte, liegt an der Beteiligung des Unternehmens an der Kommunikationsagentur MediaTeam. Bis Ende 2021 hielt Jürgen Kessler über die 3L Consult GmbH 49,9 Prozent an dieser Agentur, 10 Prozent hielt Geschäftsführer Markus Steurer und 40 Prozent Russmedia. Nach einigen kritischen Artikeln über Kesslers Doppelrolle im „Standard“ und in Ö1 gab Kessler seine Anteile ab, Russmedia hält seither 75 Prozent, Geschäftsführer Steurer 25 Prozent.
 
Diese Verbindung zwischen dem Wirtschaftsbund und Russmedia ist insofern brisant, als MediaTeam für die Abwicklung des Anzeigengeschäfts der Wirtschaftskammer-Zeitung „Die Wirtschaft“ zuständig ist – und einer Reihe weiterer Publikationen wie etwa „Thema Vorarlberg“, „Check Lehre“, der Ärztekammer-Zeitung „Arzt im Ländle“ und der Landwirtschaftskammer-Zeitung „Unser Ländle“. Dafür bekommt die Agentur eine Verkaufsprovision, die Erlöse gehen an die Wirtschaftskammer. Gedruckt und zugestellt wird „Die Wirtschaft“ von Russmedia – wie auch Wirtschaftsbundmagazin „Vorarlberger Wirtschaft“. Das Anzeigengeschäft hingegen wickelt bei diesem Magazin nicht MediaTeam ab, was in der Berichterstattung über diese Causa immer wieder fälschlicherweise behauptet wurde. Das ändert aber nichts an der offensichtlichen Verbindung zwischen Wirtschaftsbund und Russmedia über die Wirtschaftskammer.
 
Personelle Verbindungen
Neben diesen strukturellen Verbindungen gibt es auch Berührungspunkte personeller Natur. Nur zwei Beispiele: Jürgen Kesslers Vorgänger beim Wirtschaftsbund, Walter Natter, war einst ebenfalls Miteigentümer bei MediaTeam und ist erst 2018 ausgestiegen. In seiner aktiven Zeit soll er die Grundlage für die von Kessler später an die Spitze getriebene Praxis des Inseratengeschäfts geschaffen haben. Natter verfügt seit jeher über beste Kontakte zu Russmedia. Während seiner Laufbahn gab es immer wieder enge Kollaborationen.
 
Andreas Scalet wiederum, Leiter der Wirtschaftsredaktion der „Vorarlberger Nachrichten“, war zuvor jahrelang bei der Wirtschaftskammer Vorarlberg und dort pikanterweise unter anderem für die Zeitung „Die Wirtschaft“ verantwortlich, nachdem er zuvor die Presse- und Kommunikationsabteilung geleitet hatte. Selbstverständlich hat jeder das Recht und die Verpflichtung, bei einem allfälligen Jobwechsel Verschwiegenheitsklauseln einzuhalten und auch keinen moralischen Vertrauensbruch gegenüber seinem früheren Arbeitgeber zu begehen. Dennoch sind diese Verbindungen ein weiteres Puzzleteil eines Gesamtbildes, das die Behauptung, nichts von all den Geschehnissen mitbekommen zu haben, weniger plausibel erscheinen lässt als die These, nicht deutlich genug hin- oder ab und an sogar weggesehen zu haben.
 
„Äquidistanz zu den Parteien“
Gerold Riedmann, Chefredakteur und Geschäftsführer der „Vorarlberger Nachrichten“ sieht dies ganz anders: „Jeder kann sich ein Bild unserer Berichterstattung, unserer Veröffentlichungen, unserer Kommentierung machen. Diese lässt nichts an Klarheit vermissen“. Und weiter: „Auch wenn das nicht allen gefällt, wie man nun sieht: Wir sagen das, was ist. Versuchen das jeden Tag aufs Neue, in Äquidistanz zu den Parteien. Mein Verständnis von Journalismus ist, dass Vermarktung, Anzeigen oder Verlagsbeteiligungen keinen Einfluss auf die redaktionelle Arbeit haben dürfen. Und es gibt bei den ,Vorarlberger Nachrichten‘ keinen Einfluss.“
 
Die ganze Titelgeschichte lesen Sie hier
 
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