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News / „Die Posterboys des Unprofessionellen“
Doris Kraus (Foto: Journalistinnenkongress/Jacqueline Godany)
10.11.2022   News
„Die Posterboys des Unprofessionellen“
Unter dem Motto „Verlottern? Verteufeln? Verhungern? – Qualitätsjournalismus unter Druck!“ fand gestern der Journalistinnenkongress statt.
Wien – Man solle vielleicht sogar „dankbar sein für die Chats“, da durch die „Posterboys des Unprofessionellen“ nun eine Chance da sei, anhand konkreter Evidenzen zu diskutieren. Mit dieser Aussage zu den aktuellen Ereignissen in der Branche ließ Daniela Kraus vom Presseclub Concordia in ihrer Keynote des „Österreichischen Journalistinnenkongress“ aufhorchen.
 
Sie sagte, es werde hart, die Glaubwürdigkeit zurückzuerobern. Jedoch sei eine moralische Selbstzerfleischung nicht hilfreich, sehr wohl aber müsse Medienethik auf mehreren Ebenen abgehandelt werden. Als drängend nannte sie die Entpolitisierung des ORF-Stiftungsrats. Gleichzeitig müsse man die Managementebenen der Medienunternehmen in die Pflicht nehmen, um Schutzmaßnahmen, Redaktionsstatuten und Compliance Richtlinien festzulegen. Derartige Regulative solle man als Luxus empfinden. „Schauen Sie Ihren Chefs auf die Finger“, war ihr Appel. Und: „Wir sollen nicht kuscheln, sondern pushen.“ Passend zum Kongress selbst rief sie abschließend auf, das Motto solle vernetzen, nicht „verhabern“ sein.
 
Im Anschluss sprach Maria Pernegger, Geschäftsführerin von „Media Affairs“, über die gesunkene Glaubwürdigkeit von Qualitätsmedien. Die aktuelle „enthemmte Angriffslust gegenüber Journalistinnen“ sehe sie gerade als Aufruf, sich mit dem Thema Qualitätsjournalismus auseinanderzusetzen. In einer Zeit, in der jeder überall Infos publizieren könne und Reichweite käuflich sei, das Web wie ein Teilchenbeschleuniger wirke und das Misstrauen in die Medien immer größer werde, müsse Raum für Selbstkritik sein. „Der globale Schaden von Fake News für die Medien mag jährlich bei 78 Milliarden US-Dollar liegen, der Schaden für die Demokratie jedoch ist nicht messbar, aber enorm.“

Um SLAPPs – Strategic Lawsuits against Public Participation, also strategische Klagen mit der Absicht, einzuschüchtern und die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen zu erschweren, ging es in der Gesprächsrunde mit Medienjuristin Maria Windhager, Kim Kadlec vom ORF-„Am Schauplatz“ und Daniela Kraus vom Presseclub Concordia.

Das Problem sei, dass gerade große Unternehmen diese Slapp-Klagen „aus der Portokasse“ bezahlen, wie Windhager ausführte. „Ich kenne auch einen Unternehmer, der jedes Mal klagt, wenn er in der Zeitung steht. Da überlegt es sich eine Redaktion natürlich zwei Mal, ob sie über ihn berichtet.“

Im ORF könne man Klagen gelassen sehen, weil man eine Rechtsabteilung und ein großes Unternehmen hinter sich stehen habe, so Kadlec. Aber sie bündeln Ressourcen und kosten Zeit. Man sehe auch, dass gerade dort, wo mit Klagen gedroht wird, möglicherweise eine Recherche besonders interessant wäre. „Wir sagen nie, das ist uns zu heiß.“

„Die Klage ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs“, so Kadlec. Es gebe viele Vorstufen, die das Team von „Am Schauplatz“ täglich beschäftigt – von verweigerten Drehgenehmigungen bis zu Mails mit Drohungen. Vor allem aus der Wirtschaft und hier vorwiegend aus der Immobilienbranche gebe es oft Blockaden. „Die problematischen Dinge passieren oft im Vorfeld, wenn jemand versucht, uns eine Geschichte auszureden. Da wissen wir, dass es gerade interessant ist.“ Im Sinne der Demokratie appellierte Kadlec an anwesende Pressevertreterinnen, seriös zu regieren und Recherchen nicht zu blockieren.

Ein großes Problem sei heutzutage auch, dass potenzielle Interviewpartner teils zögern, weil sie mit Shitstorms oder juristischen Problemen rechnen, führte Windhager aus. Hier gelte es, sich juristische Begleitung zu holen, „weil es auf jedes Wort ankommt.“ Und auch im Hinblick auf Slapps generell riet sie, sie „öffentlich zu machen.“ Sie habe schon erlebt, dass Klagsandrohungen, die an die Öffentlichkeit kamen, zurückgezogen wurden. „Die Lösung ist Transparenz.“

Mit dem Umgang mit Bildern und Berichten aus Kriegs- und Krisengebieten und der Frage, wieviel Wahrheit Menschen zumutbar ist, befassten sich Magdalena Punz, Puls4, Ursula Meissner, freie Kriegsjournalistin, Rosa Lyon und Miriam Beller, beide ORF. Magdalena Punz unterstrich, dass sich Zuschauer darauf verlassen können müssen, dass Journalistinnen der Wahrheit verpflichtet sind. Diese hält sie gleichzeitig den Menschen zumutbar, „vor allem in Krisenzeiten.“ Wichtig sei dabei, so der Tenor der Diskussion, nicht nur Schockbilder zu zeigen, sondern mit Opfern zu sprechen, ihnen Handlungsspielraum zu geben. Um die Würde der Betroffenen zu wahren, sollte besonders sorgfältig gearbeitet werden, waren sich die Diskutantinnen einig.

Mit einer Studienpräsentation von „A long way to go: Journalistische Einflüsse auf Gender-Vielfalt in österreichischen Medien”, verfasst von Andreas A. Riedl, Christina Krakovsky und Tobias Rohrbach im Auftrag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ging es weiter. Riedl führte aus, dass in nur 25 Prozent der Beiträge in der österreichischen politischen Berichterstattung die Meinung oder Einschätzung einer Frau dargelegt wird, während im Gegensatz dazu die Meinungen von Männern in 68 Prozent der Texte vorkommen. Mit dem Ziel, die diesem Ungleichgewicht zugrundeliegenden Gründe und Einflussfaktoren zu rekonstruieren, unterzogen die Autoren und die Autorin über 3.500 Nachrichtenbeiträge einer Inhaltsanalyse und führten zusätzlich mit einem Teil der Journalistinnen und Journalisten Online-Befragungen und Tiefeninterviews durch.
 
In der dritten Diskussionsrunde befasste man sich mit dem Thema „Qualitätsmedien und der Umgang mit Inseraten“. Darüber diskutierten Eva Komarek, General Editor der Trend Topics der Styria Media Group, Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin des „Standards“ und Michaela Ernst, Mitgründerin und Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins „SHEconomy“.
Auch wenn sie betonten, dass die Situation schwieriger sei und in den Redaktionen neue Wege gesucht werden, abseits der Inseraten- und Aboverkäufe Einnahmen zu lukrieren, gab es ein klares „Ja“, von allen drei Diskutantinnen zu der Frage: Ist es überhaupt noch möglich, in einer finanziell so angespannten Lage guten Journalismus ohne Grenzüberschreitungen zu betreiben? Nana Siebert ergänzte: „Denn Glaubwürdigkeit ist unser Grundkapital.“

In den Breakout-Sessions ging es unter anderem um die Chance des aktuellen Wandels in der Arbeitswelt, um die Vermittlung von Medienkompetenz an Leser, um das Gendern und um die Vielfalt innerhalb von Redaktionen und deren Auswirkung. Abschließend konnte man die Chance nutzen, mit Role-Models wie Susanne Dickstein („OÖN“), Petra Stuiber („Der Standard“), Lou Lorenz-Dittlbacher, ORFIII, die am Vortag mit der goldenen Medienlöwin ausgezeichnet worden war, und weiteren mehr ins Gespräch zu kommen.


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