6 Tipps, wie Sie Leser bewegen, die Welt ein bisschen verständlicher machen und sich sogar einen Ortsbesuch sparen.
Salzburg – Komplexe Zusammenhänge einfach erklären und interessant personalisieren – das erfordert eine saubere Feature-Technik. Sechs Tipps, wie Sie Leser bewegen und die Welt ein bisschen verständlicher machen, gibt Christian Bleher in der aktuellen
„Journalist:in“.
Das Feature wird gern mit der Reportage verwechselt, bisweilen auch mit dem Porträt. Der Grund: Alle drei Formen sind aufgehängt an Personen und es gibt einen Wechsel von erzählerischen und einordnenden Passagen. Doch es gibt klare Unterschiede: Die Person ist im Feature nicht selbst das Thema wie im Porträt, und auch nicht Held oder Antiheld, hineingecastet in eine handlungsstarke, konflikthafte Rolle. Vielmehr verkörpert sie einen Trend, dient dazu, einen schwierigen Zusammenhang zu veranschaulichen, oder ist der lebende Beleg für eine These. Auf einer Erzählebene wird eine Beispielperson (oder mehrere) durch die Story geführt, im steten Wechsel mit einer Erklärebene, auf der Expertenstimmen das Erzählte einordnen.
1. Themenfindung: Denken Sie im Plural, nicht im Singular
Nehmen wir an, für einen Magazinbeitrag soll es um das Siechtum der Clubszene in München gehen, und die Fakten wären bereits in einem Bericht geklärt worden. Für ein Porträt würden Sie vielleicht den Impresario der Party- und Feier-Community und seinen individuellen Kampf um angemessene Räumlichkeiten vorstellen. Für eine Reportage könnten Sie den beliebtesten Club in der Nacht vor seiner endgültigen Schließung aus der Perspektive eines Stammgastes, des DJs oder des Barkeepers miterleben lassen. Für ein Feature würden Sie diesen legendären Club lediglich als Aufhänger benutzen. Sie würden anhand dieses Fallbeispiels zeigen, warum nicht nur dieser spezielle Club schließen muss, sondern warum es immer öfter solche Clubs trifft. Und weitere Fälle von Schließungen schildern. Sie würden anhand der Beispiele zeigen, was der Trend mit der Kommune und ihren Bewohnern zu tun hat. Oder mit den Folgen monatelanger Corona-Lockdowns.
Denken Sie also nicht nur an den einen Club, sondern an typische Clubs in München. Denken Sie vielleicht nicht nur an die Clubszene in dieser einen Stadt, sondern an die Clubszene in Großstädten. Denken Sie überhaupt über das Phänomen Nachtleben nach. Denken Sie, theoretisch ausgedrückt, in konzentrischen Kreisen und bestimmen Sie je nach Reichweite Ihres Mediums und Ihrem Erklär- Interesse den Kreis, den Sie als Bezugsgröße für Ihr Ausgangsbeispiel wählen. Wenn Sie im Plural denken, statt im Singular, arbeiten Sie im Feature-Modus.
2. Sparen Sie sich den Ortsbesuch
Arbeitsproben in Journalisten-Seminaren zeugen häufig vom Drang, für die Erzählebene Szenen zu recherchieren. Dementsprechend werden Ortsbesuche arrangiert. Das Geld und die Zeit kann man sich oft sparen. Der Augenschein gibt meist nicht das her, was man zur Veranschaulichung der Kernaussage bräuchte. Im Club-Beispiel: Die Beschreibung begeistert tanzender Leute könnte auch in einer Story über Musiktrends vorkommen oder in einer Story übers Erwachsen werden. Wenn es um Gründe und Hintergründe des Clubsterbens geht, wäre die Skizze eines handfesten Streits zwischen Anwohnern und Gästen oder eines entsprechenden Gerichtsverfahrens ein besserer Ausgangspunkt. Das Material dafür ist nicht szenisch, man recherchiert es im Internet und am Telefon.
In vielen Fällen ist es auch gar nicht möglich, vom eigenen Augenschein auszugehen. Nehmen wir an, Sie recherchieren, ausgehend von einem Agenturbericht, zum objektiv feststellbaren Trend zu steigender Gewalt unter Kindern. Es müsste schon ein seltsamer Zufall sein, als Journalist eine entsprechende Szene live mitzuerleben – nicht zu sprechen von den ethischen Problemen, die eine solche Augenzeugenschaft mit sich bringen würde. Wesentlich fürs Feature sind die Vorgeschichte, die Gründe, die ein Kind zum Täter machen – und diese würden sich auf diese Weise nicht offenbaren. Die sind im Gespräch mit Betroffenen und mit Experten zu erfahren, die sich mit solchen Fällen beschäftigen. Szenisches Material beschaffen Sie sich bestenfalls durchs Befragen von Betroffenen.
3. Casten Sie Ihre Protagonisten von der Peripherie her
Veranschaulichende Passagen, vor allem im Einstieg, kranken oft daran, dass sie nicht exakt den Punkt illustrieren, der auf der Erklärebene gezeigt werden soll. Ein Nebeneinander von Erzähl- und Erklärpassagen vermeiden Sie am besten schon auf der Recherche-Ebene: Beginnen Sie in der Peripherie, auf der Seite der Experten. Es mag paradox erscheinen, weil man in die Story meist genau umgekehrt einsteigt: erst die Person, dann der Hintergrund. Der umgekehrte Weg führt aber mit großer Wahrscheinlichkeit zu optimaler Passung: Wendet man sich zuerst an einen Berufsverband oder ein wissenschaftliches Institut, bekommt man zunächst Kontakt und unabhängige Informationen zu einem Experten. Und durch diesen dann den Kontakt zu einer betroffenen Person. Dieses Vorgehen bietet gleich zwei Vorteile: Man ist nicht auf Zufallstreffer zum Beispiel einer zeitraubenden Internetrecherche angewiesen, die obendrein vielleicht nicht die gewünschte Problematik illustriert. Zweitens passen die Einordnungen und die entsprechenden Zitate des Experten dann garantiert zu genau Ihrem Fall.
4. Stellen Sie den Betroffenen Reporter-Fragen
5. Nutzen Sie für den Einstieg Techniken des Storytellings
6. Formulieren Sie elegante oder überraschende Moderationen
Zu den Tipps
In der
Journalisten-Werkstatt „Feature“ von Christian Bleher werden diese und weitere grundlegende Aspekte der Darstellungsform ausführlich erklärt.