Der Chefredakteur erklärt das neue Konzept der Gratiszeitung, die Strategie „Online first“ und was er von seinem Vorgänger Christian Nusser gelernt hat.
Wien – Clemens Oistric, seit Anfang Oktober Chefredakteur der zusammengelegten Redaktionen von „
Heute“ und
heute.at, spricht im
„Journalist:in“-Interview mit Köksal Baltaci über das neue Konzept der Gratiszeitung, die Strategie „Online first“ und darüber, was er von seinem Vorgänger Christian Nusser gelernt hat. Dieser launcht im Übrigen noch in diesem Jahr sein eigenes neues Projekt.
Chefredakteur einer auflagenstarken Tageszeitung mit 31 Jahren – das ist kein alltägliches Schicksal in Österreich, herzlichen Glückwunsch zu diesem Karrieresprung. Welches Gefühl überwiegt gerade, die Freude oder der Respekt vor den bevorstehenden Aufgaben?
Clemens Oistric: Schicksal ist das falsche Wort. Der Respekt ist groß, die Freude, so ein breites Medium mit einem tollen Team gestalten zu dürfen, noch größer. Meinen wahren Traumjob habe ich aber 2020 angetreten, damals habe ich heute. at als Chefredakteur übernommen. Ich bin immer wieder überrascht, welch mediale Aufmerksamkeit die gedruckten Ausgaben nach wie vor genießen.
Das müssen Sie mir erklären. Abgesehen davon, dass mit gedruckten Ausgaben immer noch viel Geld verdient wird, werden Zeitungen von vielen sehr stark mit Qualitätsjournalismus assoziiert. Schließlich unterliegt jeder Artikel aus Platzgründen einem Auswahlverfahren. Online gibt es diesen Platzmangel nicht. Man könnte auch sagen: Nur die besten Artikel schaffen es in die Zeitung. Und zwar in der kürzestmöglichen Länge.
Ich muss Ihnen teilweise widersprechen. Natürlich hat Print – mit der großen Reichweite, die „Heute“ auch in der gedruckten Form noch immer hat – nach wie vor einen großen Stellenwert. Dennoch können wir nicht die Augen vor der Realität verschließen und müssen offen gegenüber neuen Erzählformen sein. Für Onlinejournalismus mögen vielleicht andere Qualitätsmaßstäbe gelten, aber gerade auch in der digitalen Welt ist es unsere Aufgabe, den Social-Media-Angeboten fundierten, recherchierten Journalismus entgegenzusetzen. Es geht ja nicht nur darum, Papier mit Lkw quer durch Österreich zu transportieren, sondern gut gemachte Nachrichten. Viele Häuser, die mit der Digitalisierung nicht so weit sind wie wir, werden demnächst ein Rendezvous mit der Realität haben. Es geht heute nämlich um die Kraft der Marke: „Heute“ hat – Print, Online und Social Media zusammengenommen – noch nie so viele Menschen mit seinem Journalismus erreicht wie heute. Das ist eine tolle Ausgangsposition.
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„Wir sehen einen rasanten Wandel in der Mediennutzung. Diesem wollen wir mit einer gemeinsamen Print- und Onlineredaktion begegnen und sind sicher, dass wir so für die Zukunft besser aufgestellt sind“, sagte „Heute“- Herausgeberin Eva Dichand bei Ihrer Bestellung zum neuen Chefredakteur. Was genau meint sie damit? Was wird sich also ändern, wenn die Redaktionen von „Heute“ und heute.at zusammengeführt werden?
Wir denken nur noch in Geschichten, nicht mehr in Erscheinungskanälen. Jede „Heute“-Story entsteht künftig digital. Print wird dann aus Online produziert, nicht umgekehrt. Ein schlankes Team wird täglich eine kompakte Tageszeitung gestalten. Der Großteil der Redakteurinnen und Redakteure kommt mit der Printproduktion nicht mehr in Berührung.
Was bedeutet das konkret für die Redaktion?
90 Prozent der Redakteurinnen und Redakteure recherchieren und schreiben Artikel, die restlichen Kollegen übertragen diese Inhalte in die Zeitung, indem sie sie kürzen und mit neuem Titel sowie Vorspann versehen? Habe ich mir das so vorzustellen? Ein bisschen so, wie das im angelsächsischen Raum gemacht wird. Also das System des „Editings“? Genau das ist der Plan. Dieses Konzept funktioniert bei „20 Minuten“, dem Flaggschiff unseres Schweizer Miteigentümers TX Group, ganz ausgezeichnet.
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