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Schwerpunkt Femizid-Berichterstattung in der „Journalist:in“.
17.11.2025   Vermischtes
Wie Medien die Opfer von Femiziden vergessen
Medien berichten über Femizide häufig aus der Perspektive der Täter, intime Details der Opfer werden veröffentlicht, ihre Geschichten jedoch bleiben unsichtbar. Sensationslust und Boulevardpräsentation verschleiern systematische Gewalt gegen Frauen.
Salzburg – Berichten Medien von „Beziehungsdramen“ und geben Tätern mehr Raum als Betroffenen, normalisieren sie tödliche Gewalt gegen Frauen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind problematische Erzählmuster im Journalismus tief verankert – obwohl sorgfältige Berichterstattung sogar zur Gewaltprävention beitragen könnte, berichten Olivia Samnick, Karolina Kaltschnee und Antje Plaikner in der aktuellen „Journalist:in“.

Das Knallen der letzten Silvesterböller ist kaum verhallt, da erscheint die Meldung zum ersten Femizid im Jahr 2025 in Deutschland: Stefanie W. wird am 2. Januar in einem Treppenhaus im Beisein ihres Kindes getötet. Der Täter: ihr Partner, der Vater des Kindes. Er ersticht die Frau.

Die deutsche Kriminalstatistik bildet Femizide – also das Töten von Frauen aus geschlechtsspezifischen Gründen – nicht explizit ab, zeigt aber: Täglich gibt es zwei bis drei Tötungsversuche gegenüber Mädchen und Frauen – und fast täglich eine Tote. 2023 standen 81 Prozent der Taten im Zusammenhang mit Partnerschaften. In Österreich gab es 2024 laut Kriminalstatistik 40 Morde an Frauen, davon 24 „mit persönlichem Bezug“. In der Schweiz gibt das Bundesamt für Statistik 19 Fälle von häuslicher Gewalt mit Todesfolge mit weiblichem Opfer für 2024 an. Kriminalstatistiken hinken naturgemäß hinterher. Deshalb leisten Initiativen wie „Femizide stoppen!“ wichtige Arbeit. Sie zählen für das Jahr 2025 bis Redaktionsschluss 68 Femizide in Deutschland. In der Schweiz sind es dem Rechercheprojekt „Stop Femizid“ zufolge bis dato 20, in Österreich verloren laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern 12 Frauen durch Femizide ihr Leben. Die Zahlen zeigen: Femizide sind ein länderübergreifendes Problem, das alle Schichten durchzieht. Trotz der hohen gesellschaftlichen Relevanz stellen Fachleute aus Deutschland, der Schweiz und Österreich fest: Medien versagen immer noch zu oft dabei, Femizide angemessen darzustellen.

Was in der Berichterstattung über Stefanie W. folgte, ist Inbegriff der journalistischen Irrwege in der Berichterstattung über Femizide. Einen Tag nach der Tat spricht ein Lokalmedium mit dem Arbeitgeber des Täters: Diesem sei so etwas ja gar nicht zuzutrauen. Von einer Jobplattform übernehmen Boulevardmedien Fotos der Getöteten und des Mannes. Die Augen werden nur notdürftig verpixelt oder mit einem Balken versehen. Daneben stehen ihre Berufe, der Wohnbezirk, gar der Straßenname. Aus der Gerichtsverhandlung Monate später zitieren überregionale und öffentlich-rechtliche Medien den Täter. Er erklärt die von ihm Getötete zunächst zur „Liebe seines Lebens“, dann für labil – und sich selbst zum Retter des gemeinsamen Kindes. Die brutale Tötung? Sie soll ein Akt der Liebe gewesen sein.
 
Und Stefanie W.? Die Getötete kommt in diesen Berichten kaum vor. Die Tat wirkt wie eine plötzliche Tragödie – dabei belegen kriminologische Studien längst: Femizide sind fast immer geplante Taten. Sie sind keine Einzelfälle. Sie werden nicht aus romantischen, sondern aus frauenverachtenden Motiven begangen. Die brutalste Art, auf die Männer ihre Besitzansprüche äußern.

Kein Freifahrtschein für Voyeurismus
Henriette W. aus Ostdeutschland wurde wie Stefanie W. von ihrem Ex-Partner auf brutalste Weise angegriffen. Auch ihr Kind musste das mitansehen. Henriette W. überlebte knapp und kann heute selbst mit uns sprechen. Nicht nur über den versuchten Femizid, sondern auch darüber, wie katastrophal manche Medien über ihn berichtet haben: In der Lokalpresse wurden die Berufe des Ex-Paares genannt, das Wohnhaus abgelichtet, lediglich ein Balken verbarg die Augen auf den Fotos des Täters. In der Kleinstadt, in der Henriette W. damals lebte, war es kaum möglich, ihre Identität zu schützen: „Ich fand das sehr kritisch, auch wegen meiner Kinder“, sagt Henriette W. heute. „Ich wusste, ich muss laut werden.“

Briefe schreiben statt „Witwenschütteln“
Oft schon wenige Stunden nach einem Femizid titeln die ersten Medien, was vorgefallen ist. Im Nachrichtenjournalismus so weit normal. Mal wird sich als erste Quelle auf Polizei- und Behördenberichte gestützt. Mal wird direkt bei Angehörigen geklingelt. Manche Medienschaffende versuchen, mit unethischen Mitteln Zitate aus Angehörigen und Nahestehenden herauszupressen. In der Schweiz und in Österreich gibt es, gleichwohl sie auch dort regelmäßig vorkommt, keine griffige Bezeichnung für diese Praxis. Im deutschen Journalisten-Jargon nennt man sie „Witwenschütteln“.

„Ich lag noch im Krankenhaus, da stand ein Journalist bereits bei meiner Schwester vor der Tür“, sagt Henriette W. Dass ihre Angehörigen zu Hause aufgesucht wurden, während sie selbst noch in Lebensgefahr schwebte, überschritt für Henriette W. eine rote Linie: „Das hat mich im Nachhinein extrem schockiert.“
 
Bei dieser Recherchetaktik nutzen Journalisten die Ausnahmesituation des Gegenübers aus und nehmen in Kauf, die Situation mit unsensiblen bis voyeuristischen Nachfragen zu verschlimmern …
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