Please wait...
News / „Das sind diskursive Massenvernichtungswaffen geworden“
Armin Wolf (Foto: IMAGO / Manfred Siebinger)
22.12.2025   Leute
„Das sind diskursive Massenvernichtungswaffen geworden“
ORF-Journalist Armin Wolf spricht im Interview über seine Klage gegen die Plattform X.
Wien - Seitdem der US-Milliardär Elon Musk die Kurznachrichtenplattform Twitter übernommen und in X umbenannt hat, sind viele Journalisten, Wissenschaftler und Prominente von der Plattform geflüchtet. Zu laut wurden die extremistischen, rassistischen und antisemitischen Stimmen, die vorher zumindest ein wenig von der Moderation eingeschränkt worden waren und ihrem Hass nun freien Lauf lassen.

Einer der prominenten X-Flüchtlinge ist Armin Wolf, Moderator des Nachrichtenmagazins „Zeit im Bild 2“ und stellvertretender Chefredakteur des ORF-Fernsehens. Obwohl er den erfolgreichsten X-Account Österreichs betrieben hatte, nutzt er die Plattform nicht mehr. Nun geht Wolf aber noch einen Schritt weiter und verklagt X. Im Interview mit Joachim Huber spricht er über seine Beweggründe, die Mängel bei der Regulierung großer Plattformen und warum Social Media seiner Meinung nach zur „diskursiven Massenvernichtungswaffe“ geworden ist.

Herr Wolf, Sie waren 15 Jahre lang User der Plattform Twitter, heute X. Da wird es an Beleidigungen und Anfeindungen nicht gefehlt haben. Jetzt aber reicht es Ihnen, Sie klagen gegen den Troll „Edwin Raithoffer“ bei X. Warum gehen Sie in den juristischen Nahkampf?
Na ja, so nahe komme ich dem Troll leider gar nicht. Der Name ist nämlich ein Pseudonym, unter dem ein offensichtlicher Soziopath jeden Tag mehrere hundert klagefähiger Postings veröffentlichte, in denen er alles und jeden in der österreichischen und deutschen Politik aufs Tiefste beschimpfte und verleumdete. Gelegentlich auch mich und dagegen wollte ich was tun.

Was ist Ihr eigentliches Ziel: die wahre Identität von „Edwin Raithoffer“ für eine strafrechtliche Verfolgung zu erzwingen oder X zur Anwendung der österreichischen und europäischen Gesetze zu verpflichten, die User vor Hassrede und Verleumdungen schützen sollen?
Ich würde den Irren gerne verklagen, weil Geldstrafen zwei positive Effekte haben: Wenn es zu teuer wird, hören Trolle auch wieder auf, weil sie es sich irgendwann nicht mehr leisten können. Und eine karitative Organisation würde sich über eine großzügige Spende freuen. Da aber X den Account-Inhaber nicht bekanntgibt, die Postings auch nicht gelöscht hat und die zuständigen irischen Justizbehörden absurderweise die Arbeit verweigern, ist es eine grundsätzlichere Sache geworden. Irgendwie sollte es ja möglich sein, existierende europäische Gesetze gegen Hasspostings auch durchzusetzen, würde man meinen.

Wie meinen Sie das, wenn Sie sagen: „Die irischen Justizbehörden verweigern die Arbeit“?
Nachdem X die extrem beleidigenden Postings trotz mehrfacher Aufforderung nicht gelöscht hat, hat, beantragte mein Anwalt bei der europäischen X-Zentrale in Dublin die Herausgabe der Nutzerdaten des Trolls. X verweigerte das kommentarlos und verwies uns auf das irische Justizministerium. Dort wurde das Rechtshilfeansuchen des Straflandesgerichts Wien dann mit der bizarren Begründung abgelehnt, die Daten würden nicht in Irland gespeichert, wir sollten uns an die US-Justiz wenden. Das unterläuft natürlich jede EU-Gesetzgebung. Außerdem frage ich mich, woher die irische Justiz weiß, wo X seine Daten speichert.

Und die US-Justiz hat Ihnen dann weitergeholfen?
Nein, auch dort wurde ein neues Rechtshilfeansuchen aus Wien abgewiesen. Interessanterweise nicht mit der üblichen Begründung „Redefreiheit“, weil die Postings in den USA - anders als in Europa - nicht strafbar wären. Sondern, weil die US-Justiz leider überlastet wäre und nur bei besonders schweren Delikten wie Terrorismus oder Mord Rechtshilfe leisten könnte. Und umgebracht hat der Troll, soweit ich weiß, noch niemanden.

Sie sind juristisch gescheitert, oder?
Noch nicht ganz. Ich habe X jetzt gemeinsam mit der Wiener Medienanwältin Maria Windhager, die schon große Verfahren gegen Facebook gewonnen hat, angezeigt. Wegen „Begünstigung“, ein Delikt, das in Deutschland „Strafvereitelung“ heißt: Wenn Sie jemanden der Strafverfolgung durch die Behörden entziehen, ist das strafbar. Und genau das macht X unserer Meinung nach, indem es den anonymen Troll schützt und uns bei den Behörden im Kreis schickt. Der Vorteil dieser Strategie ist: „Begünstigung“ ist ein sogenanntes „Offizialdelikt“, das die österreichische Staatsanwaltschaft nun von Amts wegen verfolgen muss, und ich muss nicht privat gegen einen Milliardenkonzern in Irland mit einer riesigen Rechtsabteilung klagen. Mal sehen.

Tatsächlich genießen Tech-Giganten wie Facebook und X das sogenannte Haftungsprivileg. Sie können sich darauf berufen, für die von Dritten auf ihren Plattformen verbreiteten Inhalten nicht verantwortlich zu sein, solange sie nicht darauf hingewiesen werden, dass ein Beitrag rechtswidrig ist. Sind Sie wirklich optimistisch, an dieser Situation mit Ihrem Einzelfall etwas ändern zu können?
Schön wäre es, aber ich fürchte, nein. Tatsächlich war dieses Plattform-Privileg argumentierbar, solange Social-Media-Anbieter ihren Nutzern anfangs nur alle Postings jener Accounts gezeigt haben, die sie abonniert hatten. Da waren die Plattformen tatsächlich nur Vermittler. Aber seitdem sie mit ihren Algorithmen bestimmen, was die Nutzer sehen - und zwar nach dem obersten Prinzip, sie durch Emotionalisierung möglichst lange auf der Seite zu halten -, treffen die Plattformen inhaltliche Entscheidungen. Damit werden sie zu Medien und sollten auch wie normale Medien haften. Jede Zeitung muss selbstverständlich für jeden Leserbrief juristisch geradestehen, den sie veröffentlicht. Das sollte meiner Meinung nach auch dringend für Plattformen gelten, die noch viel mehr Menschen erreichen.

Die sehr komfortable Lage der Plattformen wird von den nationalen Behörden und der EU heftig kritisiert, trotzdem scheint es kaum griffige Gegenmittel zu geben. Wie erklären Sie sich diesen paradoxen Zustand? Werden in der EU Sanktionen der Trump-Administration befürchtet, die ja schon heute die Meinungsfreiheit in Europa eingeschränkt sieht?
Das könnte sein. Man sieht ja, wie die Trump-Regierung auf die Ankündigung der EU-Kommission reagiert hat, eine Geldbuße von 120 Millionen gegen X zu verhängen. Das wäre „ein Angriff auf alle Amerikaner“, hat Außenminister Rubio gepostet. Dabei tut die EU-Kommission ja zumindest ein bisschen was. Wirklich skandalös finde ich die irischen Behörden. Alle großen Tech-Plattformen haben ihre Europa-Zentrale in Irland. Bis jetzt dachte ich, es ginge da nur um Steuervorteile, aber offenbar fühlt man sich dort auch sehr sicher vor der Justiz.

Sie moderieren die „ZiB2“-Nachrichten im ORF, Ihr Twitter-X-Account war mit 640.000 Followern der reichweitenstärkste in ganz Österreich, Sie sind der bekannteste Journalist Ihres Landes. Welchen Zumutungen, ja Attacken waren und sind Sie in dieser Rolle ausgesetzt?
Den üblichen, würde ich sagen, für Menschen, die in der Öffentlichkeit arbeiten und auf Social Media aktiv sind. Es ist für mich als Mann aber viel weniger schlimm als für Kolleginnen wie Dunja Hayali vom ZDF. Was Frauen auf Social Media mitmachen, ist wirklich unerträglich.

Und was waren Ihre Erfahrungen?
Auf X war ich 15 Jahre lang sehr aktiv und lange sehr happy. Ich habe dort sehr viel gelernt, viel erfahren und mit vielen interessanten Menschen diskutiert. Dann hat leider Elon Musk die Plattform übernommen und die Moderation der Postings eingestellt. Die „blauen Haken“, die garantieren sollten, dass ein Account authentisch ist, wurden an jedermann verkauft und diese gekauften Postings viel häufiger angezeigt. Das lockte Unmengen an Bots und Trollen an. Es war zuletzt nicht mehr auszuhalten. Unter jedem politischen Posting standen hunderte Beschimpfungen, eine vernünftige Debatte war nicht mehr möglich. Wie wenn in einem Wirtshaus mit einem Stammtisch der Wirt plötzlich eine Horde Skinheads ins Lokal holt, sie an den Stammtisch setzt und ihnen Megafone in die Hand drückt. Dann sollte die übliche Stammtisch-Runde das Lokal wechseln.

Sie haben X vor gut einem Jahr verlassen, Ihren Account aber haben Sie behalten. Wieso nur dieser halbe Rückzug?
Weil ich nicht möchte, dass unter meinem Namen jemand anderer dort postet. Und weil ich die Plattform als tagesaktuell arbeitender Journalist beruflich leider noch brauche. Aber ich schaue dort nur mehr hin, wenn es Breaking News gibt und habe seit November 2024 kein Wort mehr gepostet.

Geben Sie X mit dem Eigentümer Elon Musk noch eine Chance oder wird die Plattform immer radikaler, immer toxischer werden?
Ich glaube, es wird immer noch schlimmer. Musk hat aus der Plattform eine Fake News-Schleuder, eine MAGA-Propaganda-Orgel und einen Online-Spielplatz für Verhaltensauffällige gemacht. Es ist mir ein totales Rätsel, warum ernsthafte Journalist:innen, Expert:innen und erst recht Politiker:innen und politische Institutionen dort noch immer aktiv sind. Man würde doch meinen, dass zumindest die Leute, die Gesetze machen, nicht jemanden fördern wollen, der offensiv gegen ihre Gesetze verstößt.

Social Media, also Plattformen wie X oder Tiktok werden wieder und wieder scharf kritisiert - aber unverändert stark genutzt. Beschreibt das auch Ihr eigenes Nutzungsverhalten?
Ich nutze Social Media in erster Linie beruflich. Wenn Sie für eine Nachrichtensendung arbeiten, die so aktuell wie möglich sein muss, kommen Sie derzeit nicht ohne Social Media aus. Aber würden die Plattformen morgen aus irgendeinem Grund nicht mehr da sein - ich wäre nicht traurig. Ich war anfangs wirklich begeistert von der Idee, aber seit es nur mehr darum geht, mit möglichst emotionalisierenden und empörenden Postings möglichst viele Leute möglichst lange online zu halten, hat Social Media de facto den öffentlichen Diskurs zerstört. Das sind diskursive Massenvernichtungswaffen geworden. Leider. 

Sie haben X zugunsten von Bluesky verlassen. Bereuen Sie diesen Schritt? Die Reichweiten bei Bluesky sind doch sehr überschaubar.
Ich bereue das gar nicht. Bluesky ist sehr nett, ähnlich wie Twitter in den ersten Jahren. Leider sind aber viele interessante Expert:innen und eben auch die Politik nach wie vor nicht auf Bluesky. Mir fehlt die engagierte Debatte, die nicht in Trollerei ausartet. Das Twitter von 2018 war interessanter als das Twitter von 2011. Das X von 2025 ist leider unbrauchbar geworden. Bluesky ist derzeit noch das Twitter von 2011, 2012. Vielleicht wird's ja noch.

In Deutschland stehen die öffentlich-rechtlichen Sender stark unter Druck, zugleich sinkt das allgemeine Medienvertrauen. Gilt das auch für den ORF und andere österreichische Medien?
Das gilt, glaube ich, für alle westlichen Demokratien. Und das hat natürlich ganz wesentlich mit Social Media zu tun - in Verbindung mit Corona, dem Ukraine-Krieg, dem Gaza-Krieg und gelenkter Desinformation durch staatliche Akteure und schlichte Betrüger, die mit Scams Geld machen wollen. Eine toxische Mischung, in der öffentlich-rechtliche Medien tatsächlich so wichtig sind wie nie zuvor - als Leuchttürme seriöser, relevanter, recherchierter Information in einem Meer von Propaganda, Paranoia, Fake News, Click Bait und Schwachsinn. Der legendäre ORF-Intendant Gerd Bacher hat mal den schönen Satz gesagt: „Journalismus ist Unterscheidung. Zwischen wahr und unwahr. Zwischen richtig und unrichtig. Zwischen Sinn und Unsinn.“ Dieser Satz ist jetzt fast 40 Jahre alt, aber ich glaube, es war nie wichtiger. 
 
von Joachim Huber (KNA)




Sie möchten aktuelle Medien-News und Stories lesen und sich über Jobs, Top-Personalien und Journalistenpreise aus Österreich informieren? Dann bestellen Sie bitte unseren kostenlosen Newsletter
 
Sie haben Personalnews in eigener Sache oder aus Ihrem Medienhaus? Oder Ihnen ist in unseren Texten etwas aufgefallen, zu dem Sie sich mit uns austauschen wollen? Mailen Sie die Infos bitte an redaktion@journalistin.at